
Hiatus: Public History, der historische Roman und ich
Wer mir auf Twitter folgt weiß bereits, dass ich vor einigen Tagen mit dem Gedanken gespielt habe, dieses Blog nicht weiterzuführen. Ich schreibe hier seit 2018 nicht nur über historische Romane, sondern ganz generell über unsere moderne Rezeption von Geschichte in Unterhaltungsmedien. Zeitfäden als Projekt ist einst entstanden aus meinem alten Buchblogprojekt und meinem Wunsch, zwei Themen, für die ich mich interessiere, zusammenzuführen: Geschichte und Bücher. Zeitfäden ist das Blog, das ich immer führen wollte, es ist viel Arbeit hineingeflossen, und, dass es so vielen anderen Freude bereitet, bedeutet mir sehr viel. Wieso also das Handtuch werfen?
Ich habe eine Email bekommen. Eine Autorin historischer Romane, über deren Buch ich ein paar saloppe Zeilen auf Twitter geschrieben habe, ließ mich wissen, dass sie über meinen Klarnamen im Impressum nicht nur herausgefunden hatte, wo ich wohne, sondern auch, wo ich arbeite. Was sie damit bezwecken wollte, kann ich nicht wissen und ich werde nicht spekulieren, doch dieser Übergriff in mein Privatleben hat mich, gelinde gesagt, erschreckt. Ich trenne mein reales Leben sehr bewusst von meinem Auftritt als Internetpersona, nicht zuletzt, weil ich im Moment in der Buchbranche arbeite. Diese Grenze wurde nun überschritten, mit Leichtigkeit, und, ja, ich hatte Angst.
Konflikt: „Historisch“ gegen „Unterhaltung“
Aber von vorn. Ich möchte diesen sehr persönlichen Text mit ein wenig Transparenz beginnen, denn obwohl ich diesen Internetauftritt von meinem echten Leben trennen möchte, sollt ihr wissen, wer ich bin: Ich bin Anfang dreißig und habe Geschichte und Archäologie studiert, zuerst mit einem Fokus auf dem Mittelalter, dann mehr und mehr auf dem 19. und frühen 20. Jahrhundert. Spezifisch materielle Kulturen und Textilgeschichte haben mich schon immer am meisten interessiert. Mein Studium abgeschlossen habe ich kurz vor Beginn der Corona-Pandemie, die den Kulturbetrieb auf unbestimmte Zeit stark eingeschränkt hat, weshalb ich ihm erst einmal den Rücken gekehrt und begonnen habe, in der Buchbranche zu arbeiten.
Als jemand, der sich in der klassischen Academia nie vollkommen wohlgefühlt hat, bin ich in der Public History immer schon aufgegangen: Ich habe über zehn Jahre das Blog „Gaiety Girl“ geführt, eine Sammlung von Artikeln zum 19. Jahrhundert, besonders zum Viktorianismus und zur Belle Époque, für die ich auch schon 2011 intensiv begonnen habe, Kleidergeschichte zu recherchieren. Noch mehr als das interessiert mich aber schon seit damals ein verwandtes Thema: Das Zusammenspiel von modernen Medien und unserem kollektiven Blick auf Geschichte im 21. Jahrhundert. Und hier sind wir nun angekommen, denn genau darum geht es im Kern auf Zeitfäden immer.
Historische Unterhaltungsmedien bringen einen einzigartigen Konflikt mit sich: Die Reibung zwischen der inhärenten „künstlerischen Freiheit“ des Fiktiven und der Verantwortung, die Kunstschaffende den Kunstkonsumierenden gegenüber innehaben. Denn wie wir Geschichte in Unterhaltungsmedien darstellen, hat die Kraft Geschichtsbilder zu formen und umzuformen. Unser Blick auf die Vergangenheit formt unweigerlich unseren Blick auf die Gegenwart. Historische Unterhaltungsmedien haben eine Kraft, die besonders im deutschsprachigen Raum noch oft verkannt wird. Und dieser Reibungspunkt zwischen Kunst, Unterhaltung, und dieser Verantwortung ist faszinierend.
Das Zeitfäden-Konzept: Wie sehen wir Geschichte?
Wer meine Buchbesprechungen liest, weiß, dass ich mich zu 90% mit dieser Frage auseinandersetze, wenn ich lese: Woher kommt diese Darstellung einer historischen Epoche? Was kann sie mit dem Geschichtsbild der Lesenden machen? Ist das positiv? Ist das negativ? Der historische Roman bietet im Moment leider viel Raum für Geschichtsklitterung und für eine romantisierende „Vernostalgierung“ der Vergangenheit. Das sehe ich kritisch und ich spreche oft darüber. Was nach außen vielleicht manchmal aussieht, als würde ich Erbsen zählen, ist für mich ein Versuch aktuelle historische Bestseller in den Kontext unserer Zeit und Gesellschaft einzuordnen, immer mit derselben Frage im Hinterkopf: Wie sehen wir Geschichte?
Damit habe ich das Rad keineswegs neu erfunden. Besonders in der englischsprachigen Welt gibt es unzählige Blogs, die genau das tun, unter anderem zum Beispiel das Filmblog Frock Flicks, das für mich zu Beginn ein großes Vorbild war. Im deutschsprachigen Raum bin ich zwar ebenfalls nicht allein, aber etwas einsamer. Gerade hierzulande finde ich einen Blick auf unseren Umgang mit der komplizierten deutschen Geschichte jedoch sehr wichtig – und zwar zugänglich für alle Interessierten. Ich möchte mit diesem Blog unterhalten, aber ich möchte auch informieren. Ich möchte nicht, dass mir alles unbesehen geglaubt wird – Ich möchte zum Nachdenken und zum Recherchieren anregen, beim ersten Schritt in Richtung einer eigenen Interpretation helfen.
Das war Zeitfäden. Ein Rezensionsblog, ein Buchblog im ferneren Sinne, aber vor allem ein Blog, das sich immer und immer wieder anschaut, wie wir mit unserer Geschichte umgehen, was wir Konsumierenden mit auf den Weg geben und wie das nicht nur ihren Blick auf die Vergangenheit formt, sondern auch auf die Gegenwart. Geschichte ist nicht zuletzt identitätsstiftend, sie ist wichtig für uns, ob uns das bewusst ist, oder nicht. Und darum geht es mir. Ich mache das, wie sollte es anders funktionieren, am Beispiel der Romane, die ich lese, die ihr vielleicht lest, die viele Lesende konsumiert haben. Ich kann kritisch sein, manchmal etwas salopp, und das hat seine Gründe.
Verantwortung: Klischees und Recherche
Eine Entwicklung im Genre, die sich im Verlauf der 2010er vollzogen hat und um die es hier schon öfter ging, ist das immer häufigere Zurückstellen von notwendiger Recherche, ersetzt durch historische Mythen und Klischees, die den Blick auf Geschichte der Konsumierenden stark ins Negative verzerren können. Ganz besonders bei historischen Romanen, in denen es um die „Trendepoche“ Nachkriegszeit geht, sehe ich darin eine große Gefahr, denn der deutsche Umgang mit dem NS-Regime und seinen Folgen wird ganz generell immer unvorsichtiger. Doch im Endeffekt ist jedes Ausweichen auf altbekannte, manchmal problematische Klischees anstelle von eigener Recherche eine vertane Chance und ein Bruch mit eben jener Verantwortung den eigenen Lesenden gegenüber.
Ich sehe Literaturkritik ganz generell nicht als Angriff oder gar als Aggression und ich finde schade, dass das Äußern von negativen Gefühlen gegenüber gelesenen Texten oft als solche aufgefasst wird. Natürlich ist es nicht leicht, sich als Autor*in damit auseinanderzusetzen, doch Kritik an Romaninhalten ist niemals Kritik an Schreibenden als Person. Und ein facettenreicher Austausch über Bücher ist wichtig. Nur so kann die Literaturwelt weiterwachsen und ihr volles Potential entfalten. Literaturkritik als Anregung zur Debatte und als reine Äußerung der eigenen Gefühle einem gelesenen Text gegenüber gehört zur Literatur dazu, seit es sie gibt. Ohne sie werden wir irgendwann stagnieren.
Und deshalb werde ich Zeitfäden auch in Zukunft weiterführen, auch, wenn ich nicht sagen kann, wann genau. Etwas anders als zuvor vielleicht, theoretischer, weniger beispielorientiert, wir werden sehen. Ich möchte vorrangig Romane empfehlen, genauso, wie ich selbst Romane lesen möchte, die mir gefallen. Das habe ich auch immer schon getan und werde ich weiterhin tun. Aber ich werde auch kritisch bleiben. Nicht als Aggression, Spott oder Belehrung gegenüber Autor*innen, sondern weil das im Kern dieses Projekts steckt: Der kritische Blick auf Geschichtsrezeption in modernen Unterhaltungsmedien. Eine Einordnungshilfe für alle Interessierten, die tiefer in die Materie eintauchen möchten und den Einstieg suchen.
Abschließend: Literaturkritik als Werkzeug
Ich möchte gemeinsam mit euch historische Unterhaltungsmedien verantwortlich halten, für ihre Inhalte, für ihre kritischen Seiten, für ihre Auswirkungen auf kollektive Geschichtsbilder. Ich möchte eine der kleinen Ecken des Internets sein, in der kritisch und aufmerksam auf das Genre und seinen Einfluss auf seine Lesenden geschaut wird. Und das möchte ich für alle zugänglich tun, unterhaltend und informierend und vor allem gemeinsam mit euch: Also nehmt bitte auch nicht jede meiner Einschätzungen für bare Münze. Recherchiert selbst nach, was euch interessiert. Ich möchte nur der Anfang dieses Prozesses sein.
Nicht zuletzt deshalb stelle ich auf diesem Blog auch meine eigene zusammengefasste Recherche zu Themen wie Kleidergeschichte, Social History und die Geschichte marginalisierter Gruppen zur Verfügung, sowie „Writing Guides“ zu Themen wie Recherche oder das erste Herantreten an eine neue historische Epoche. Denn ich möchte nicht nur kritisieren, ich möchte auch Ansätze ermöglichen, mit beliebten Mythen aufräumen, eine Basis schaffen, eine erste Antwort auf das „Und wie mache ich es besser?“, das auf Kritik folgen könnte, geben. Anregungen und Wüsche zu Themen, die ich in diesem Kontext bearbeiten könnte, nehme ich deshalb sehr gern entgegen.
Auch für Gespräche über die Inhalte von historischen Unterhaltungsmedien bin ich genauso offen, wie für Gespräche über meine eigenen Inhalte auf dieser Website. Sachliche Kritik ist kein Grund für verletzte Autor*innengefühle – weder eure, noch meine. Sie ist ein wichtiges Werkzeug, um gemeinsam über Literatur zu sprechen, über ihre Wirkung auf uns und über ihre Zukunft – Im Falle von Zeitfäden gespiegelt durch ihren Umgang mit unserer Vergangenheit. Ich wünsche mir, dass das Genre wächst und lernt. Der englischsprachige Buchmarkt zeigt in den letzten Jahren die ersten Blüten dessen, was auch hier möglich wäre. Lasst uns diesen Wachstum gemeinsam zulassen und fördern. Bis dann, wir lesen uns.
Beitragsbild: „Am Fenster“, Carl Holsøe, ca. 1910, dänisch (Detail)