Historiker*innen im Internet

Hi. Da bin ich wieder. Fast zwei Jahre sind vergangen seit ich ernsthaft mit dem Gedanken gespielt habe, dieses Projekt zu den Akten zu legen. In „Hiatus: Public History, der historische Roman und ich“ habe ich im September 2022 erklärt, weshalb ich mich entschieden habe, eine längere Pause einzulegen. Seitdem sind einige Räder in Bewegung geraten und unvorhergesehene Dinge geschehen, die meine geplante Rückkehr zu diesem Projekt im letzten Sommer verzögert haben, doch das ist nicht zwingend etwas schlechtes, denn es hat mir die Zeit gegeben tatsächlich mit dem Geschehenen abzuschließen und dieses Online-Magazin als das wieder aufzubauen, was es von Anfang an sein sollte: Eine Anlaufstelle für alle, die sich für die spannenden Schnittstellen zwischen Geschichte, Gegenwart und Popkultur interessieren, eine Sammlung an Gedanken, Diskursanregungen und Hilfestellungen.

Ich habe die letzten zwei Jahre genutzt, um mir Gedanken darüber zu machen, weshalb „Zeitfäden“ gescheitert ist. Weshalb hat mich im Herbst 2022 etwas, das mir immer Freude bereitet hat – Das Sprechen und Nachdenken über Literatur, Geschichte und die Berührungspunkte zwischen Popkultur und akademischer Forschung – an den Rand meiner Kräfte gebracht? Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass ich schlicht und ergreifend meine Zielgruppe verfehlt habe. Ich war idealistisch, damals 2018 als ich „Zeitfäden“ als Rezensionsblog und Online-Magazin für Geschichtsinteressierte ins Leben gerufen habe. Ich wollte anhand von Beispielen aufzeigen, welche Missstände den historischen Roman heimsuchen, ich hatte gehofft einen Diskurs eröffnen zu können, über Geschichtsbilder, Geschichte als Unterhaltung und die inhärente Kraft von historischer Fiktion.

Die Zielgruppenfrage: Für wen ist dieses Projekt gedacht?

Stattdessen habe ich mich in einem Zwiespalt wiedergefunden, denn ich habe einsehen müssen, dass dieses Format – Public History im Internet, irgendwo zwischen Literaturkritik, Aufklärungsarbeit und Edutainment – auf eine Buchwelt geprallt ist, die gelinde gesagt nicht immer Interesse daran hat, so verantwortungsvoll und reflektiert mit Geschichte umzugehen, wie es wünschenswert wäre. Ganz allgemein sind Online-Buch-Communities in den letzten Jahren enger zusammengerückt und misstrauischer gegenüber Literaturkritik geworden. Das kritische, ausführliche Auseinandersetzen mit Literatur wird immer öfter als Angriff verstanden, als „Schlechtmachen“ mit bösen Absichten, nicht als notwendiger Bestandteil eines gesunden Buchmarkts, der kritische Stimmen braucht, um sich weiterzuentwickeln. Aber das ist eine Geschichte für einen anderen Tag.

Spezifisch im historischen Roman, oder ganz generell in den historischen Unterhaltungsmedien und in den Communities, die sie konsumieren, hat sich das jedoch mit alten, festgefahrenen Ideen von „historischer Korrektheit“ zu einer explosiven Mischung zusammengetan, die es dem Genre schwermacht sich zu entwickeln. Denn diese einschränkende Wahrnehmung dessen, was „historisch korrekt“ ist und somit offiziell historisch vorgekommen sein darf, macht es sehr schwer neue Perspektiven auf Geschichte zu eröffnen, die Raum für neue Ideen und neue Stimmen lassen. Kritik an dem, was als „historisch korrekt“ verkauft wird, und sei es noch so überholt, stößt auf massive Wände. Aber gerade deshalb ist sie wichtig. Denn unsere Ideen von der Vergangenheit formen unsere Wahrnehmung der Gegenwart. Und historische Medien haben die Kraft, unsere Geschichtsbilder zu beeinflussen.

Ich möchte also weitermachen mit dem, was ich eigentlich tun wollte: Ausblicke geben, wie Geschichte in den Unterhaltungsmedien noch rezipiert werden kann, abseits dieser alten, festgefahrenen Wege, für alle, die es interessiert. Doch ich brauchte einen neuen Ansatz. Ich bin nicht mehr idealistisch genug um zu glauben, dass ich etwas verändern kann. Aber ich denke, dass ich – und andere Historiker*innen im Internet, die ähnliche Arbeit leisten – zumindest Werkzeuge an die Hand geben kann, wo es gewünscht ist: Ich kann den historischen Buchmarkt nicht verändern, aber ich kann denen, die sich ebenfalls Veränderung wünschen – Das Öffnen von Türen für neue Stimmen, neue Perspektiven, neue Blickwinkel auf Geschichte – Ansatzpunkte liefern. Veränderung braucht Zeit und sie braucht vor allem eine Community, die nicht nur offen für sie ist, sondern aktiv auf sie hinarbeitet. Dabei möchte ich helfen.

What’s Past is Prologue?

Im Endeffekt bedeutet das, dass es auf „Past & Prologue“, dem offiziellen „Zeitfäden“-Nachfolger, keine Literaturbesprechungen mehr geben wird. Stattdessen werde ich mich darauf konzentrieren, euch gut recherchierte Texte zu aktuellen Trends und Problemen im Genre zu liefern, aus meiner Perspektive als Historikerin im Internet, die nun seit über zehn Jahren diverse Public-History-Projekte online anbietet und nicht nur die Seite der historischen Unterhaltungsmedien gut kennt, sondern auch die der akademischen Geschichtsforschung. Ich habe mich damals, 2011 als ich noch Studentin war und mein erstes Projekt „Gaiety Girl“, rund um die Kulturgeschichte des späten 19. Jahrhunderts in London, Paris und Berlin, ins Leben gerufen habe, bewusst dafür entschieden Geschichte online zu teilen, so niedrigschwellig und zugänglich wie möglich. Das soll auch weiterhin im Fokus stehen.

Nicht zuletzt musste ich lernen, meine eigenen Befindlichkeiten ein Stück weit zurückzustellen. Es wird einfach nicht ausbleiben, dass jemand nicht gut findet, was ich hier mache. Es wird auch nicht ausbleiben, dass Leute die Informationen, die ich hier bereitstelle und bei denen es sich zum Teil um meine eigene Forschung handelt, ohne Quellenangaben weiterverbreiten. Das ist das Internet. Spezifisch über diesen Punkt habe ich lange nachgedacht und bin zu dem Schluss gekommen, dass es mir wichtig genug ist meine Arbeit zu teilen, um das in Kauf zu nehmen. Auch, wenn ich ehrlich bin, dass es mir schwer im Magen liegt, dass einige meiner Inhalte, die es hier weiterhin natürlich kostenfrei zu lesen geben wird, bereits ohne Credit in historischen Romanen gelandet sind, mit denen andere Leute Geld verdienen. Aber auch das ist das Internet. Das ist der Buchmarkt, wie er im Moment ist.

Da sind wir jetzt also. Enden möchte ich mit dem neuen Namen dieses Projekts: „What’s past is prologue“ heißt es in „Der Sturm“ von William Shakespeare aus dem Jahr 1611: Alles, was zuvor geschehen ist, war bloß der Anfang. Das gilt für dieses Online-Magazin, aber auch für den inhärenten Charakter von Geschichte selbst, denn nicht nur geht es immer irgendwie weiter, alles, was zuvor passiert ist, beeinflusst auch unaufhaltsam unsere Gegenwart. Auch über das Format historischer Unterhaltungsmedien. Und darum soll es hier in Zukunft gehen. Wo stehen die historischen Unterhaltungsmedien? Wo gehen sie hin? Wie können wir sie gemeinsam für neue Blickwinkel und Stimmen öffnen? Und während es keine Literaturbesprechungen mehr geben wird, werde ich ganz bestimmt Romane und andere Medien empfehlen, die das machen, von dem ich mehr sehen möchte. In diesem Sinne: Willkommen zurück und viel Spaß.


Beitragsbild: „Briefschreibende Dame“, Albert Edelfelt, 1887, finnisch (Detail)

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